Page 49 - Holzforum Ausgabe 2/2023
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Forschung &
Waldpolitik Entwicklung
Debatte an vielen Stellen
unsachlich
Trotz drängender Probleme rät Professor Hans Jürgen Böhmer Früher hätte man diese Ironie
zu Sachlichkeit, wenn es um Fragen des Klimawandels und in Deutschland wohl unmittel-
bar verstanden, in zwischen
dem Umbau des Waldes geht. stelle ich aber fest, dass sich
die Kommunikationskultur so-
Sie warnen in Ihrem Buch vor aus wärmeren Gefilden bei uns bei uns geben. Zudem besteht weit vereinfacht hat, dass das
der vorschnellen Einführung anpflanzen. Das erscheint viel- bei manchen Arten die Gefahr nicht mehr überall funktioniert
neuer Baumsorten als Reaktion leicht naheliegend, ist aber et- der unkontrollierten Ausbrei- und der Buchtitel gelegentlich
auf den Klimawandel. Warum? was kurz gedacht. Wenn einge- tung, einer sogenannten biolo- sogar für bare Münze genom-
führte Baumarten mit einer an- gischen Invasion, die am Ende men wird. Das hat mich über-
Wenn man die Debatte um haltenden Erwärmung zurecht- mehr wirtschaftlichen Schaden rascht. Es wird sicher nicht
den klimaschlauen Waldum- kommen, bleibt andererseits als Nutzen bringen könnte. Es alles anders, aber manches
bau verfolgt, begegnet man immer noch das Problem, dass ist nicht selten, dass sich eine wird sich ändern, allein durch
immer wieder der Idee, man sie gleichzeitig an starken Frost eingeführte Art im neuen Na- die sich verändernden Lebens-
könne angesichts der Erwär- angepasst sein müssen, denn turraum unerwartet verhält. Bei bedingungen für viele im Wald
mung ja schlicht Baumarten auch das wird es noch lange einheimischen Baumarten ist lebende Pflanzen-, Pilz- und
das anders, wir haben mit ihnen Tierarten, die durch ungeheuer
Jahrhunderte Erfahrung, und sie komplexe Wechselbeziehungen
Wie reagieren die Wälder der haben enormes Potenzial, in ih- voneinander abhängen und auf-
Welt auf den Klimawandel? rem angestammten Naturraum einander reagieren. Für manche
Und was wurde eigentlich aus auf viele Eventualitäten zu re- Arten wird es in der Erwärmung
dem Waldsterben? Der Öko- agieren. Es gibt eine Neigung, immer schwieriger, sich zu be-
loge Hans Jürgen Böhmer stellt sie vorschnell und pauschal haupten, andere profitieren im-
die Diskussion über die Zukunft flächendeckend abzuschreiben. mer mehr und breiten sich aus.
des Waldes in Deutschland in Das ist aber Unsinn. Es wird Insofern kann man vorhersagen,
einen globalen und langfris- kaum angesprochen, dass die dass sich unsere Wälder auch
tigen Kontext. In seinem Buch genetische Vielfalt einer Art Indi- ohne weiteres menschliches
„Beim nächsten Wald wird viduen hervorbringt, die sehr gut Zutun verändern werden. Sie
alles anders“ ordnet er die Er- mit veränderten Umweltbedin- werden aber nicht verschwin-
eignisse zu einer Zeitreise bis gungen umgehen können. Man den, sondern sich allmählich
zum Waldsterben 2.0. Der in- nennt das „phänotypische Plas- an die neuen Verhältnisse an-
ternationale Waldexperte zeigt tizität“, und auf dieses Potenzial passen, so wie das seit Jahr-
dabei anhand aktueller Fall- kann man bauen. millionen überall auf der Erde
studien und seiner Erfahrungen der Fall ist. Um diese komplexen
aus dreißig Jahren globaler Ökosystemforschung, warum kom- Dennoch heißt der Titel Vorgänge genau zu verstehen
plexe Naturprobleme keine einfachen Lösungen haben können. Ihres Buches beim nächsten und ihre Folgen abschätzen zu
Statt Wald- oder gar Weltuntergangsszenarien zu zeichnen, for- Wald wird alles anders … können, brauchen wir eine For-
dert Böhmer eine langfristige Perspektive. Er rät auf einfache Ar- schung, die sich ausreichend
gumente zu verzichten und die Nachhaltigkeitsdebatte in Wis- Der Titel ist bewusst zweideutig. Zeit nimmt, mindestens so viel
senschaft und Politik wieder stärker in der Lebenswelt zu veran- Zum einen nehme ich damit den Zeit, wie die Organismen im
kern, anstatt sie zu sehr auf Ferndiagnosen zu stützen. verbreiteten Alarmismus in der Wald brauchen, um auf Verän-
Walddebatte ironisch aufs Korn. derungen zu reagieren.
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