Page 50 - Holzforum Ausgabe 2/2023
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Forschung &

             Entwicklung            Waldpolitik






           Sie kritisieren sehr nach-  zu den Trends im Klimawandel   in Deutschland. Die größte Flä-  Regen“ zugeschrieben und lange
           drücklich -- um nicht zu sagen   nicht in Frage. Die Erwärmung   che nehmen Forste und natur-  übersehen wurde, welch große
           nachhaltig – einen Wissen-  ist eine naturwissenschaftliche   nahe Wälder ein, die durch die   Rolle bereits damals anhaltende
           schaftsbetrieb, der immer   Gewissheit, und das wissen wir   Baumarten Fichte, Wald-Kiefer,   Trockenheit beim Absterben der
           schneller und immer mehr im-  schon sehr lange.       Rotbuche und unsere beiden   Bäume spielte. Heute stehen
           mer ungenauere Ergebnisse,                            Eichenarten bestimmt werden.   die Auswirkungen immer häufi-
           produziert. Müssen unter die-  Was würden Sie der     In allen Beständen liegt die Ge-  ger Trocken- und Hitzeperioden
           sen Bedingungen die Ergeb-    deutschen Holzwirtschaft   samtverdunstung bei hunderten   klar im Fokus, und sie können
           nisse zum Klimawandel mit   raten, wenn es darum geht   Litern Wasser pro Quadratmeter   klar beziffert werden. Die Aus-
           Vorsicht betrachtet werden?  forstwirtschaftlich wichtige   im Jahr. Falls es technisch mög-  sage, 80 Prozent der Bäume in
                                        Entscheidungen zu treffen?  lich wäre, all diese Wälder zu   Deutschland seien „geschädigt“,
           Auch das ist nicht so einfach.                        gießen und vor Trockenstress zu   ist mir trotzdem zu pauschal, da
           Ich sage ja nicht, dass die Er-  Die Walddebatte in Deutschland   bewahren, würde uns das Was-  werden Äpfel und Birnen in einen
           gebnisse an sich ungenauer   ist an vielen Stellen unsachlich,   ser an anderer Stelle fehlen – in   Topf geworfen, u.a. ernsthaft ge-
           werden, sondern dass die aktu-  geprägt von Ideologien und Inter-  der Landwirtschaft, der Industrie   schädigte Bäume mit solchen, die
           ellen Forschungsbedingungen   essensverbänden. Hüten Sie sich   und zunehmend auch in unseren   absolut gesund sind und nur vo-
           ungeeignet sind, um Vorgänge   deshalb vor Schnellschüssen   Haushalten. Es wäre wohl nicht   rübergehend als Anpassung an
           in komplexen Ökosystemen zu   und Vereinfachungen in jeder   durchzusetzen, im Falle extremer   Trockenheit weniger Laub tragen.
           verstehen, deren prägende Or-  Hinsicht. Mitteleuropa besteht   Wasserknappheit den Wäldern   Die Berichterstattung zum Wald
           ganismen – die Bäume – oft   aus hunderten Teillandschaften   den Vorzug zu geben.  ist auch in seriösen Medien oft
           eine Lebenserwartung von meh-  mit teilweise völlig unterschied-                  klischeehaft und weltfremd, und
           reren hundert Jahren haben. Wie   lichen naturräumlichen Gege-  Sie sagen, dass die Prognosen   wohl auch deshalb schlagen die
           wollen Sie in einem wenig nach-  benheiten u. a. bezüglich Klima   bezüglich des Waldsterbens   Wellen immer wieder so hoch. n
           haltigen Forschungsbetrieb mit   und Boden. Da verbieten sich   falsch waren und der alarmis-
           Standard-Projektlaufzeiten von   pauschale, landesweite Aussa-  tische Ton inzwischen auf-
           3-5 Jahren, mit wissenschaftli-  gen zur Eignung von Baumarten   gegeben wurde. Die Waldzu-
           chem Personal in prekären Kurz-  schon von selbst. Versuchen Sie   standserhebung 2022 jedoch
           zeit-Arbeitsverhältnissen und   deshalb, diversifizierte, auf die   besagt, dass rund 80 Prozent
           ohne Folgefinanzierung wirklich   jeweiligen Naturräume zuge-  der Bäume in Deutschland ge-
           verstehen und voraussagen, wo   schnittene Nutzungskonzepte   schädigt seien. Wie ernst muss
           sich das Ökosystem hin entwi-  noch stärker zu berücksichtigen.   man diese Zahlen nehmen?
           ckelt? Zumal im Wald ja nicht   Dass dabei mehr Naturnähe, u.
           nur Bäume leben. Es braucht zu-  a. die Mischung mehrerer einhei-  Der Ton der aktuellen Debatte ist
           nächst sehr viel Zeit und Erfah-  mischer Baumarten geboten und   sehr wohl alarmistisch, und ge-
           rung der Forschenden im Wald,   effizient einsetzbar ist, hat sich   nau deshalb habe ich das Buch
           um überhaupt die richtigen Fra-  herumgesprochen und wird vie-  geschrieben. Sachliche, ausge-
           gestellungen entwickeln und den   lerorts schon seit Jahrzehnten   wogene Aufklärung – die haben   Prof. Dr. Hans Jürgen Böhmer,
                                                                                             Jahrgang 1967, studierte Geo grafie,
           eigenen Forschungsansatz im-  erfolgreich praktiziert.  meinem Buch ja viele namhafte   Biologie, Geologie, Politikwissen-
           mer wieder kritisch hinterfragen                      Rezensenten bescheinigt – trägt   schaften und Journalistik an den
           zu können. Das ist eine Grund-  Als einer der Hauptgründe   immer dazu bei, Dampf aus dem   Universitäten Bamberg und Erlangen.
                                                                                              Seine Habilitation erfolgte 2006 an
           voraussetzung für gute wissen-  für das Absterben von Bäu-  Kessel zu nehmen. Ich habe ge-  der TU München über die Langzeit-
           schaftliche Praxis in der Wald-  men nennen Sie Klimastress   schrieben, dass der alarmisti-  dynamik der Regenwälder Hawaiis.
           forschung. Das Problem ist, dass   und Trockenheit. Dumme   sche Ton in der Walddebatte der   2014 übernahm er den Lehrstuhl für
           wir immer mehr Forschungsbei-  Frage: Kann man Bäume   1980er Jahre irgendwann auf-  Biogeografie an der University of
                                                                                             the South Pacific.
           träge sehen, die technisch sau-  nicht einfach gießen?  gegeben wurde, weil die Wälder   Seit 2015 ist er zudem Regierungs-
           ber herausgearbeitete Antwor-                         sich entgegen der extrem nega-  berater der Pazifikstaaten für das
           ten auf zu kurz gedachte Fragen   Schauen wir uns die „dumme   tiven Vorhersagen erholten. Das   Pariser Klimaabkommen (COP21).
                                                                                             Seit 2022 ist er Professor für
           liefern. Das stellt aber unsere   Frage“ mal näher an. Wir haben   lag auch daran, dass das „Wald-  Geobotanik an der Leibniz
           grundsätzlichen Erkenntnisse   rund 11 Millionen Hektar Wald   sterben“ vorschnell dem „Sauren   Universität Hannover.

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